Wann und wie haften Zulieferer für das fertige Endprodukt?

Der Expander

BGH, Urteil v. 9.1.1990 – VI ZR 103/89

Sowohl Endhersteller als auch Zulieferer tragen im Bereich des Produkthaftungsrechts eine gemeinsame Produktverantwortung.

Sachverhalt:

Der Kläger verletzte sich 1982 durch einen hochschnellenden Expander am Auge infolge eines Bruchs des Kunststoffgriffs. Der Endhersteller bestellte die Griffe bei einem Auftragsfertiger und gab Formen vor, die einen Konstruktionsfehler beinhalten. Es wurden seit 1975 jährlich etwa 60.000 bis 75.000 Expander hergestellt. Der TÜV vergab nach einer Bauartprüfung das GS-Zeichen.

Der Verletzte verklagt den Griffhersteller auf DM 60.000,- Schmerzensgeld und den Ersatz aller materiellen Schäden.

Urteil:

Der BGH geht von einer – wenn auch im Vergleich zum Endhersteller geringeren – Sorgfaltspflicht des Zulieferers auch für die Endkonstruktion aus, verneint aber im konkreten Fall eine Pflichtverletzung.

Verkehrssicherungspflichten des Auftragsfertigers:

Der BGH spricht von „horizontaler Aufgabenteilung“ zwischen Auftragsfertiger und Endhersteller und umreißt die jeweiligen Pflichten so:

● Der Besteller hat die „Bestimmungsgewalt“ über „Konstruktion“ und „Materialauswahl“.
● Der Auftragsfertiger hat „in erster Linie die Fabrikationsverantwortung“.

Der BGH stellt aber klar, „dass auch ein Unternehmer, der auftragsgemäß nur die Fabrikation einzelner Produkte oder Produktteile für einen anderen Unternehmer übernimmt, für die Verkehrssicherheit dieser Produkte mitverantwortlich ist“ – und die bezieht sich auch auf die Konstruktion: „Da jeder an einer solchen Arbeitsteilung beteiligte Unternehmer auch in bestimmten Grenzen auf den Produktionsbeitrag des anderen zu achten hat, ist auch der Auftragsfertiger nicht von jeder Verantwortung für die Konstruktion des von ihm hergestellten End- oder Teilprodukts freigestellt“.

Der Zulieferer muss zwar nicht „die Konstruktion auf ihre Gefährlichkeit überprüfen“,
er hat aber Sorgfaltspflichten,

● „wenn die Konstruktion Fabrikationsfehler begünstigt“ und
● „wenn er bei der Ausführung der ihm übertragenen Tätigkeit die Gefährlichkeit der Konstruktion erkennen kann, sofern er konkreten Anlass für die Annahme haben muss, dass der für die Konstruktion Verantwortliche diesem Umstand nicht genügend Rechnung getragen hat“.

Keine Pflichtverletzung des Auftragsfertigers:

Der BGH verneinte im konkreten Fall indes eine Pflichtverletzung des Zulieferers, denn er habe keine Kenntnis von der Gefährlichkeit des Griffs und auch keine Überprüfungspflicht.

Keine Kenntnis des Zulieferers von Gefährlichkeit des Griffes:

Obwohl die Beklagte auf ihren Briefbogen ihre Fähigkeiten zur „Beratung, Planung, Konstruktion“ erwähnt und aus verschiedenen Veröffentlichungen, u.a. von dem Hersteller des verarbeiteten Kunststoffes, bereits darauf hingewiesen worden war, dass Kerben ausgesprochene Schwachstellen bilden, konnte der BGH keine Feststellungen zur Kenntnis der Beklagten von der Gefährlichkeit des Griffes treffen. Dazu „hätte noch hinzu­kommen müssen, dass die Beklagte auch hätte erkennen können, dass der ‚Schwachstelle‘ bei der vorgesehe­nen Verwendung des Expanders und der dabei auftretenden Kraftübertragungen eine so große Bedeutung zukam, dass dadurch die erforderliche Sicherheit nicht mehr gewährleistet war. Dazu hätte es zumindest der Feststellung bedurft, dass alle Kunststoffverarbeiter derartige Kenntnisse haben müssen bzw. dass die Beklagte in ihrem Unternehmen auch selbst-konstruierte Kunststoffprodukte hergestellt hat, die ähnlichen Belastungen ausgesetzt sind wie die Expandergriffe“.

Keine Überprüfungspflicht:

Der BGH verneinte auch eine Überprüfungspflicht, weil der Zulieferer sich in konkreten Fall auf TÜV-Begutachtungen verlassen konnte:

„Im Streitfalle hatte die Beklagte auch keine besondere Veranlassung, die Konstruktion der Expandergriffe zu überprüfen, da die Prüfstelle des TÜV das Sportgerät einschließlich der von ihr hergestellten Griffe geprüft und dann das GS-Zeichen vergeben und der TÜV ein ähnliches Gerät bei einem Test mit „gut“ bewertet hat. Zwar wird ein Hersteller, der seine Produkte selbst konstruiert, nicht ohne weiteres von der Haftung für Schäden durch konstruktive Mängel seines Produktes freigestellt, wenn eine Prüfstelle es überprüft und derartige Mängel nicht festgestellt hat. Für andere in den Herstellungsprozess und den Vertrieb von Industrieprodukten eingeschaltete Unternehmer, die in Bezug auf Konstruktionsgefahren geringere Sorgfaltspflichten als der eigentliche Hersteller und Konstrukteur des Produktes zu erfüllen haben, gilt aber etwas anderes. So kann ein Importeur sich u.U. damit entlasten, dass er das eingeführte Gerät durch einen Sachverständigen überprüfen lässt oder es von einer zugelassenen Prüfstelle auf ihre Sicherheit untersuchen lässt. Dasselbe muss grundsätzlich auch für Auftragsfertiger gelten“.

Fazit und Merksätze und Empfehlungen:

  1. Auch der Auftragsfertiger/Zulieferer hat Sorgfaltspflichten nicht nur im Hinblick auf seine Fabrikation, sondern auch im Hinblick auf die Konstruktion des Endprodukts, wenn er die „Gefährlichkeit der Konstruktion erkennen kann“ und nicht davon ausgehen darf, dass der Endhersteller diesem Umstand Rechnung trägt.
  2. Die Beweislast für die Kenntnis bzw. die Erkennbarkeit des Zulieferers von der Gefährlichkeit liegt beim Geschädigten (vgl. auch Kullmann, ProdHaftG, 5. Aufl. 2006, § 1 Rn. 104).
  3. „Erkennen kann“ ein Zulieferer die Gefährlichkeit der Konstruktion, wenn er überprüft. Ob eine Überprüfungspflicht des Zulieferers besteht, hängt von seiner Kenntnis der Endverwendung und den weiteren Fallumständen ab. So kann die Kenntnis daraus folgen, dass der Zulieferer nicht nur nach strikten Vorgaben herstellt, sondern auch selbst Konstrukteur dieser Produkte ist und insoweit Konstruktionswissen hat.
  4. Die Rechtsprechung geht grundsätzlich davon aus, dass sich Importeure und Zulieferer auf Sachverständigen­gutachten verlassen können, verneint also in diesem Fall eine weitergehende Prüfungspflicht.
  5. Endhersteller und Zulieferer könnten und sollten die Aufgabenverteilung – und insbesondere den Umfang von Informations- und Überprüfungspflichten – im Vertrag festlegen.

Wann und inwieweit gilt das ProdSG, wenn es produktsicherheitsbezogene Spezialvorschriften gibt?

Antwort:

§ 1 Abs. 3 grenzt das ProdSG zu bestimmten Produktsicherheitsvorschriften ab, die das ProdSG vollständig verdrängen [Zitat gekürzt]:

Dieses Gesetz gilt nicht für
1. Antiquitäten,
2. gebrauchte Produkte, die vor ihrer Verwendung instand gesetzt oder wiederaufbereitet werden müssen […],
3. Produkte, die ihrer Bauart nach ausschließlich für militärische Zwecke bestimmt sind,
4. Lebensmittel, Futtermittel, lebende Pflanzen und Tiere, […],
5. Medizinprodukte im Sinne des § 3 des Medizinproduktegesetzes, […],
6. Umschließungen […] für die Beförderung gefährlicher Güter, soweit diese verkehrsrechtlichen Vorschriften unterliegen,
7. Pflanzenschutzmittel […].

§ 1 Abs. 4 grenzt das ProdSG zu weiteren produktsicherheitsbezogenen Spezialvorschriften ab – einerseits ohne sie ausdrücklich zu benennen und andererseits mit der Folge, dass dann das ProdSG doch noch zum Zuge kommen kann. Das ProdSG gilt nicht, „soweit in anderen Rechtsvorschriften entsprechende oder weiter gehende Vorschriften vorgesehen sind“.

Daraus folgt andersherum und erstens: Das ProdSG gilt, soweit es weitergehende Vorschriften als das Spezialgesetz enthält. Das ProdSG gilt also nur subsidiär.

Gemeint sind etwa Vorschriften über
– Arzneimittel,
– Bauprodukte,
– Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen und
– Kraftfahrzeuge und Fahrzeugteile.

Nicht gemeint sind die Rechtsverordnungen nach § 8 ProdSG – also die ProdSV, die die EG-Harmonisierungsrichtlinien (etwa die Maschinenrichtlinie) umsetzen. Insoweit ordnet § 3 Abs. 1 Nr. 1 ProdSG – letztlich ähnlich dem § 1 Abs. 4 ProdSG und klarstellend – an, dass die ProdSV anzuwenden sind.

Das ProdSG gilt auch zweitens, wenn es keine speziellere Rechtsvorschrift für das jeweilige Produkt gibt, es „trifft Regelungen hinsichtlich des Bereitstellens von Produkten auf dem Markt, sofern es für diese Produkte keine spezielleren Rechtsvorschriften gibt“ (BT-Drs. 17/6276 v. 24.6.2011, S. 39)

  • entweder weil schon gar keine weitere Vorschrift für das zu beurteilende Produkt vorhanden ist (Auffangfunktion des ProdSG)
  • oder wenn zwar eine solche speziellere Vorschrift vorhanden ist, es aber um einen Aspekt geht, der dort nicht geregelt ist, sondern nur im ProdSG (Dachfunktion des ProdSG).

Es gelten also folgende Grundsätze: Das ProdSG gilt,

  • wenn es für ein Produkt gar keine weitere Rechtsvorschrift gibt,
  • wenn es zwar eine Spezialvorschrift für das Produkt gibt, ein Aspekt aber dort nicht geregelt ist und
  • wenn ein Aspekt zwar in einer spezielleren Rechtsvorschrift geregelt ist, aber das ProdSG weiter geht.

Die speziellere Rechtsvorschrift gilt dagegen allein und das ProdSG gilt nicht,

  • wenn ein Aspekt gar nicht im ProdSG, sondern nur dort geregelt ist und
  • wenn ein Aspekt zwar auch im ProdSG geregelt ist, die speziellere Rechtsvorschrift aber identisch ist und
  • wenn ein Aspekt zwar auch im ProdSG geregelt ist, die speziellere Rechtsvorschrift aber weiter geht.

In § 26 Abs. 2 ProdSG heißt es, dass die Vorschriften des ProdSG „ergänzend zur Anwendung kommen“. Das bedeutet: Bei „umfassenden Regelungen über die Bereitstellung von speziellen Produkten“ tritt das ProdSG „in Gänze“ zurück (Gesetzentwurf, in: BT-Drs. 17/6276 v. 24.6.2011, S. 40).