Handelt es sich um unvollständige Maschinen im Sinne der Maschinenrichtlinie, wenn sie in Maschinen eingebaut werden, die vor 1.1.1995 in Verkehr gebracht wurden?

Eine juristische Auslegung des Artikel 2g der Maschinenrichtlinie ergibt, dass das Datum, zu dem die Maschine, in welche die unvollständige Maschine eingebaut werden soll, bezüglich der Anwendbarkeit der Maschinenrichtlinie auf die unvollständige Maschine, keine Rolle spielt.

Dies kann mit den juristischen Auslegungsmethoden wie folgt begründet werden:

a) Der Wortlaut des Art. 2 g) spricht vom Einbau in „andere Maschinen“, die zusammen mit der unvollständigen Maschine eine „Maschine im Sinne dieser Richtlinie“ bilden. Damit können:

  1. all die Produkte gemeint sein, die die Merkmale des Art. 2 a) erfüllen, also Maschinen unabhängig davon, wann sie erstmals in Verkehr gebracht worden sind, also auch Maschinen aus dem Jahr 1990, oder es können
  2. Maschinen gemeint sein, die nicht nur die Merkmale des Art. 2 a) erfüllen, sondern eben auch nach dem 1.1.1995 in Verkehr gebracht worden sind.

Für die zweite Auffassung spricht, dass im Endeffekt eine „Maschine im Sinne dieser Richtlinie“ entstehen muss, was nicht der Fall ist, wenn eine vor dem 1.1.1995 in Verkehr gebrachte Maschine durch Einbau zusätzlicher Teile unwesentlich verändert wird.

Für die erste Auffassung spricht, dass es Maschinen auch schon vor dem 1.1.1995 gab – auch wenn sie noch nicht in einer EG-Richtlinie so bezeichnet waren.

Wenn man den Wortlaut des 2 g) genau nehmen würde, dann müsste bei konsequentem Vollzug der zweiten Auffassung der Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie verneint werden, wenn eine Maschine ergänzt wird, die zwar nach dem 1.1.1995, aber vor dem 29.12.2009 erstmals in Verkehr gebracht worden ist. Denn dann geht es auch nicht um eine Maschine „im Sinne dieser Richtlinie“ 2006/42/EG, sondern eben eine solche im Sinne der Richtlinie 1998/37/EG. Das kann so nicht gemeint sein. Eine solche Argumentation nennen Juristen „argumentum ad absurdum“.

b) Nach der systematischen Auslegung der Maschinenrichtlinie wird die erste Auffassung gestützt. Es ist eben in Art. 2 g) nicht der Zeitpunkt erwähnt, wann das Etwas in Verkehr gebracht sein muss, in das die unvollständige Maschine eingebaut wird. Das spricht dafür, dass – systematisch – mit den in Art. 2 g) erwähnten Maschinen solche Produkte in Bezug genommen sind, die die Merkmale des Art. 2 a) erfüllen, also auch Maschinen vor Geltung der Maschinenrichtlinie. Der Art. 26 Maschinenrichtlinie ist eben nicht in Bezug genommen – ein zeitliche Anforderung ist nicht genannt.

c) Entscheidend ist die Auslegung nach Sinn und Zweck. Mit den Regelungen über unvollständige Maschinen sollten – so scheint es aus Sicht der Autoren – alle Zulieferprodukte erfasst werden, die in Etwas eingebaut werden, das (sachlich und nicht zeitlich) in Art. 2 a) der Maschinenrichtlinie beschrieben ist. Es kann nicht auf den (zufälligen) Zeitpunkt des Inverkehrbringens ankommen. Das Ziel der Maschinenrichtlinie (der Endhersteller soll eine Montageanleitung haben und eine Einbauerklärung, in der die umgesetzten Schutzanforderungen der Maschinenrichtlinie vermerkt sind), soll immer erreicht werden – nicht nur dann, wenn das Endprodukt nach dem 1.1.1995 in Verkehr gebracht worden ist.

Es dürfte auch für den Inverkehrbringer einer unvollständigen Maschine unmöglich sein zu ermitteln, ob sein Produkt in eine Maschine eingebaut wird, die vor (dann keine unvollständige Maschine) oder nach (dann unvollständige Maschine) dem 1.1.1995 in Verkehr gebracht worden ist. Jedenfalls ist es unzumutbar, von ihm zu verlangen, entsprechende Erkundigungen einzuholen.