Wann und inwieweit gilt das ProdSG, wenn es produktsicherheitsbezogene Spezialvorschriften gibt?

Antwort:

§ 1 Abs. 3 grenzt das ProdSG zu bestimmten Produktsicherheitsvorschriften ab, die das ProdSG vollständig verdrängen [Zitat gekürzt]:

Dieses Gesetz gilt nicht für
1. Antiquitäten,
2. gebrauchte Produkte, die vor ihrer Verwendung instand gesetzt oder wiederaufbereitet werden müssen […],
3. Produkte, die ihrer Bauart nach ausschließlich für militärische Zwecke bestimmt sind,
4. Lebensmittel, Futtermittel, lebende Pflanzen und Tiere, […],
5. Medizinprodukte im Sinne des § 3 des Medizinproduktegesetzes, […],
6. Umschließungen […] für die Beförderung gefährlicher Güter, soweit diese verkehrsrechtlichen Vorschriften unterliegen,
7. Pflanzenschutzmittel […].

§ 1 Abs. 4 grenzt das ProdSG zu weiteren produktsicherheitsbezogenen Spezialvorschriften ab – einerseits ohne sie ausdrücklich zu benennen und andererseits mit der Folge, dass dann das ProdSG doch noch zum Zuge kommen kann. Das ProdSG gilt nicht, „soweit in anderen Rechtsvorschriften entsprechende oder weiter gehende Vorschriften vorgesehen sind“.

Daraus folgt andersherum und erstens: Das ProdSG gilt, soweit es weitergehende Vorschriften als das Spezialgesetz enthält. Das ProdSG gilt also nur subsidiär.

Gemeint sind etwa Vorschriften über
– Arzneimittel,
– Bauprodukte,
– Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen und
– Kraftfahrzeuge und Fahrzeugteile.

Nicht gemeint sind die Rechtsverordnungen nach § 8 ProdSG – also die ProdSV, die die EG-Harmonisierungsrichtlinien (etwa die Maschinenrichtlinie) umsetzen. Insoweit ordnet § 3 Abs. 1 Nr. 1 ProdSG – letztlich ähnlich dem § 1 Abs. 4 ProdSG und klarstellend – an, dass die ProdSV anzuwenden sind.

Das ProdSG gilt auch zweitens, wenn es keine speziellere Rechtsvorschrift für das jeweilige Produkt gibt, es „trifft Regelungen hinsichtlich des Bereitstellens von Produkten auf dem Markt, sofern es für diese Produkte keine spezielleren Rechtsvorschriften gibt“ (BT-Drs. 17/6276 v. 24.6.2011, S. 39)

  • entweder weil schon gar keine weitere Vorschrift für das zu beurteilende Produkt vorhanden ist (Auffangfunktion des ProdSG)
  • oder wenn zwar eine solche speziellere Vorschrift vorhanden ist, es aber um einen Aspekt geht, der dort nicht geregelt ist, sondern nur im ProdSG (Dachfunktion des ProdSG).

Es gelten also folgende Grundsätze: Das ProdSG gilt,

  • wenn es für ein Produkt gar keine weitere Rechtsvorschrift gibt,
  • wenn es zwar eine Spezialvorschrift für das Produkt gibt, ein Aspekt aber dort nicht geregelt ist und
  • wenn ein Aspekt zwar in einer spezielleren Rechtsvorschrift geregelt ist, aber das ProdSG weiter geht.

Die speziellere Rechtsvorschrift gilt dagegen allein und das ProdSG gilt nicht,

  • wenn ein Aspekt gar nicht im ProdSG, sondern nur dort geregelt ist und
  • wenn ein Aspekt zwar auch im ProdSG geregelt ist, die speziellere Rechtsvorschrift aber identisch ist und
  • wenn ein Aspekt zwar auch im ProdSG geregelt ist, die speziellere Rechtsvorschrift aber weiter geht.

In § 26 Abs. 2 ProdSG heißt es, dass die Vorschriften des ProdSG „ergänzend zur Anwendung kommen“. Das bedeutet: Bei „umfassenden Regelungen über die Bereitstellung von speziellen Produkten“ tritt das ProdSG „in Gänze“ zurück (Gesetzentwurf, in: BT-Drs. 17/6276 v. 24.6.2011, S. 40).

Wie wird eine Maschine für Forschungszwecke definiert?

Antwort:

In der Maschinenrichtlinie finden sich dafür drei Anhaltspunkte: Artikel 1, Absatz (2).h) der Maschinenrichtlinie

  • für Forschungszwecke konstruiert und gebaut
  • zur vorübergehenden Verwendung
  • Verwendung in Laboratorien

Der Forschungszweck ist der Erkenntnissgewinn aus einem Forschungsvorhaben, beispielsweise dem Gewinnen von Messdaten.

Vorübergehend bedeutet, dass nach dem Abschluss des Forschungsvorhabens die Maschine zu Forschungszwecken wieder abgebaut oder für andere Forschungszwecke umgebaut wird.

Der Begriff Laboratorien schließt auch Versuchshallen oder Freiluftareale für Feldforschung mit ein.

Achtung! Messgeräte, Prüfmaschinen und Maschinen, die ständig in Labors installiert sind und für allgemeine Forschungszwecke verwendet werden können sind von der Maschinenrichtlinie nicht ausgenommen. Siehe auch §60 im Leitfaden für die Anwendung der MRL

Einen interessanten Leitfaden für das „Herstellen und Betreiben von Geräten und Anlagen für Forschungszwecke“ bietet die Broschüre der Deutschen Gesetzlichen Unvallversicherung e.V. (DGUV) Seite öffnenBGI/GUV-I 5139.

Kann auf eine Maschine die Produktsicherheitsrichtlinie (2001/95/EG) zusätzlich zur Maschinenrichtlinie zur Anwendung kommen?

Antwort:

Ja, die EG-Harmonisierungsrichtlinien – wie die Link zu Originaldokument im PDF Maschinenrichtlinie – sind nicht abschließend. Wenn eine Maschine für Verbraucher bestimmt ist oder unter vernünftigerweise voraussehbaren Bedingungen von ihnen benutzt werden kann, fallt sie auch unter die Link zu Originaldokument im PDF allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie – 2001/95/EG.

Diese Richtlinie ist sozusagen ein Dach für alle Verbraucherprodukte über allen speziellen gefährdungs- oder produktbezogenen Richtlinien und gilt nicht nur dann, wenn Spezialvorschriften mit Produktanforderungen fehlen. Das stellt auch die  Europäische Kommission in § 101 des Link zu Originaldokument im PDF Leitfadens zur Anwendung der Maschinenrichtlinie klar:

Zusätzlich zu den Bestimmungen der Maschinenrichtlinie und Verordnung über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten finden bestimmte spezielle Bestimmungen der Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit auf Maschinen Anwendung, die zur Verwendung durch Verbraucher bestimmt sind oder wahrscheinlich von diesen verwendet werden, soweit die Maschinenrichtlinie oder die Verordnung keine entsprechenden Bestimmungen enthalten (…)

Es ist also immer zu prüfen, ob bei „Verbrauchermaschinen“ zusätzliche Anforderungen zu den konkreten Vorschriften in der Maschinenrichtlinie erforderlich sind, um ausreichende Sicherheit zu erreichen. Das ist etwa insbesondere im Bereich der Instruktionen und Warnungen möglich, wenn die Maschine durch Laien bedient wird bzw. werden kann.

Handelt es sich um unvollständige Maschinen im Sinne der Maschinenrichtlinie, wenn sie in Maschinen eingebaut werden, die vor 1.1.1995 in Verkehr gebracht wurden?

Eine juristische Auslegung des Artikel 2g der Maschinenrichtlinie ergibt, dass das Datum, zu dem die Maschine, in welche die unvollständige Maschine eingebaut werden soll, bezüglich der Anwendbarkeit der Maschinenrichtlinie auf die unvollständige Maschine, keine Rolle spielt.

Dies kann mit den juristischen Auslegungsmethoden wie folgt begründet werden:

a) Der Wortlaut des Art. 2 g) spricht vom Einbau in „andere Maschinen“, die zusammen mit der unvollständigen Maschine eine „Maschine im Sinne dieser Richtlinie“ bilden. Damit können:

  1. all die Produkte gemeint sein, die die Merkmale des Art. 2 a) erfüllen, also Maschinen unabhängig davon, wann sie erstmals in Verkehr gebracht worden sind, also auch Maschinen aus dem Jahr 1990, oder es können
  2. Maschinen gemeint sein, die nicht nur die Merkmale des Art. 2 a) erfüllen, sondern eben auch nach dem 1.1.1995 in Verkehr gebracht worden sind.

Für die zweite Auffassung spricht, dass im Endeffekt eine „Maschine im Sinne dieser Richtlinie“ entstehen muss, was nicht der Fall ist, wenn eine vor dem 1.1.1995 in Verkehr gebrachte Maschine durch Einbau zusätzlicher Teile unwesentlich verändert wird.

Für die erste Auffassung spricht, dass es Maschinen auch schon vor dem 1.1.1995 gab – auch wenn sie noch nicht in einer EG-Richtlinie so bezeichnet waren.

Wenn man den Wortlaut des 2 g) genau nehmen würde, dann müsste bei konsequentem Vollzug der zweiten Auffassung der Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie verneint werden, wenn eine Maschine ergänzt wird, die zwar nach dem 1.1.1995, aber vor dem 29.12.2009 erstmals in Verkehr gebracht worden ist. Denn dann geht es auch nicht um eine Maschine „im Sinne dieser Richtlinie“ 2006/42/EG, sondern eben eine solche im Sinne der Richtlinie 1998/37/EG. Das kann so nicht gemeint sein. Eine solche Argumentation nennen Juristen „argumentum ad absurdum“.

b) Nach der systematischen Auslegung der Maschinenrichtlinie wird die erste Auffassung gestützt. Es ist eben in Art. 2 g) nicht der Zeitpunkt erwähnt, wann das Etwas in Verkehr gebracht sein muss, in das die unvollständige Maschine eingebaut wird. Das spricht dafür, dass – systematisch – mit den in Art. 2 g) erwähnten Maschinen solche Produkte in Bezug genommen sind, die die Merkmale des Art. 2 a) erfüllen, also auch Maschinen vor Geltung der Maschinenrichtlinie. Der Art. 26 Maschinenrichtlinie ist eben nicht in Bezug genommen – ein zeitliche Anforderung ist nicht genannt.

c) Entscheidend ist die Auslegung nach Sinn und Zweck. Mit den Regelungen über unvollständige Maschinen sollten – so scheint es aus Sicht der Autoren – alle Zulieferprodukte erfasst werden, die in Etwas eingebaut werden, das (sachlich und nicht zeitlich) in Art. 2 a) der Maschinenrichtlinie beschrieben ist. Es kann nicht auf den (zufälligen) Zeitpunkt des Inverkehrbringens ankommen. Das Ziel der Maschinenrichtlinie (der Endhersteller soll eine Montageanleitung haben und eine Einbauerklärung, in der die umgesetzten Schutzanforderungen der Maschinenrichtlinie vermerkt sind), soll immer erreicht werden – nicht nur dann, wenn das Endprodukt nach dem 1.1.1995 in Verkehr gebracht worden ist.

Es dürfte auch für den Inverkehrbringer einer unvollständigen Maschine unmöglich sein zu ermitteln, ob sein Produkt in eine Maschine eingebaut wird, die vor (dann keine unvollständige Maschine) oder nach (dann unvollständige Maschine) dem 1.1.1995 in Verkehr gebracht worden ist. Jedenfalls ist es unzumutbar, von ihm zu verlangen, entsprechende Erkundigungen einzuholen.

Ist die Niederspannungsrichtlinie parallel zur Maschinenrichtlinie anzuwenden?

Antwort:

Maschinen, die in den Anwendungsbereich der  Maschinenrichtlinie 2006/42/EG fallen, müssen entsprechend Link zu Originaldokument im PDF Anhang I, Abschnitt 1.5.1 der Maschinenrichtlinie auch jene sicherheitstechnischen Anforderungen erfüllen, welche die elektrische Energieversorgung betreffen:

Eine mit elektrischer Energie versorgte Maschine muss so konstruiert, gebaut und ausgerüstet sein, dass alle von Elektrizität ausgehenden Gefährdungen vermieden werden oder vermieden werden können.

Die Schutzziele der Richtlinie 73/23/EWG [Anm. 73/23/EWG = Vor-Vorgängerrichtlinie der aktuellen Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU] gelten für Maschinen. In Bezug auf die Gefährdungen, die von elektrischem Strom ausgehen, werden die Verpflichtungen betreffend die Konformitätsbewertung und das Inverkehrbringen und/oder die Inbetriebnahme von Maschinen jedoch ausschließlich durch die vorliegende Richtlinie [Anm. = Maschinenrichtlinie] geregelt.

Die Konformitätsbewertung und -erklärung erfolgt also ausschließlich nach der Maschinenrichtlinie. Daher darf die Link zu Originaldokument im PDF Niederspannungsrichtlinie in der Konformitätserklärung nach der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG NICHT mehr genannt werden!

Anwendungsbereich Maschinenrichtlinie

Die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG regelt in Link zu Originaldokument im PDF Artikel 1 (1) welche Produkte in ihren Anwendungsbereich fallen:

Anwendungsbereich
(1) Diese Richtlinie gilt für die folgenden Erzeugnisse:

a) Maschinen;
b) auswechselbare Ausrüstungen;
c) Sicherheitsbauteile;
d) Lastaufnahmemittel;
e) Ketten, Seile und Gurte;
f) abnehmbare Gelenkwellen;
g) unvollständige Maschinen.

Hinweise:

  • Konformitätsbewertungsverfahren für Erzeugnisse nach Buchstabe a bis f: Link zu Originaldokument im PDF Artikel 12
  • Verfahren für Erzeugnisse nach Buchstabe g (unvollständige Maschinen): Link zu Originaldokument im PDF Artikel 13

Definition „Maschine“

Gemäß Link zu Originaldokument im PDF Artikel 2 der Maschinenrichtlinie bezeichnet der Begriff „Maschine“:

— eine mit einem anderen Antriebssystem als der unmittelbar eingesetzten menschlichen oder tierischen Kraft ausgestattete oder dafür vorgesehene Gesamtheit miteinander verbundener Teile oder Vorrichtungen, von denen mindestens eines bzw. eine beweglich ist und die für eine bestimmte Anwendung zusammengefügt sind;

— eine Gesamtheit im Sinne des ersten Gedankenstrichs, der lediglich die Teile fehlen, die sie mit ihrem Einsatzort oder mit ihren Energie- und Antriebsquellen verbinden;

— eine einbaufertige Gesamtheit im Sinne des ersten und zweiten Gedankenstrichs, die erst nach Anbringung auf einem Beförderungsmittel oder Installation in einem Gebäude oder Bauwerk funktionsfähig ist;

— eine Gesamtheit von Maschinen im Sinne des ersten, zweiten und dritten Gedankenstrichs oder von unvollständigen Maschinen im Sinne des Buchstabens g, die, damit sie zusammenwirken, so angeordnet sind und betätigt werden, dass sie als Gesamtheit funktionieren;

— eine Gesamtheit miteinander verbundener Teile oder Vorrichtungen, von denen mindestens eines bzw. eine beweglich ist und die für Hebevorgänge zusammengefügt sind und deren einzige Antriebsquelle die unmittelbar eingesetzte menschliche Kraft ist;

Gemäß Nummer 3.1 der Norm EN ISO 12100:2010:

Maschine
mit einem Antriebssystem ausgestattete oder dafür vorgesehene Gesamtheit miteinander verbundener Teile oder Vorrichtungen, von denen mindestens eine(s) beweglich ist und die für eine bestimmte Anwendung zusammengefügt sind

ANMERKUNG 1: Der Begriff „Maschine“ gilt auch für Maschinenanlagen, die so angeordnet und gesteuert werden, dass sie als einheitliches Ganzes funktionieren, um das gleiche Ziel zu erreichen.

ANMERKUNG 2: Anhang A enthält eine allgemeine schematische Darstellung einer Maschine.

Hinweis:

Die Maschinenrichtlinie benützt den Begriff „Maschine“ doppelt. Einerseits handelt es sich um Maschinen gemäß Artikel 1 (1) Buchstabe a. Dies ist auch der oben definierte Begriff. Andererseits wird zwischen einem Konformitätsbewertungsverfahren für „Maschinen“ und einem Verfahren für „unvollständige Maschinen“ unterschieden. Dabei gilt gemäß Artikel 2 Absatz 1:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck „Maschine“ die in Artikel 1 Absatz 1 Buchstaben a bis f aufgelisteten Erzeugnisse.“

Dies bedeutet, dass für die von a bis f aufgelisteten Erzeugnisse (Maschinen, Sicherheitsbauteile, …) das „Konformitätsbewertungsverfahren für Maschinen“ (Link zu Originaldokument im PDF Artikel 12) durchzuführen ist. Lediglich für „unvollständige Maschinen“ gilt das spezielle Verfahren nach Link zu Originaldokument im PDF Artikel 13.